16 January 2013

Die WB im Dickem B - Kapitel 1





Kapitel 1

Berlin, arm aber „Adlon verpflichtet“

Ich wälzte mich aus dem eng bemessenen Sitz heraus hinein in den ebenfalls schmalen Gang.
Es war eine beschissene Fahrt gewesen.
Zum Einem quälte mich mein Gewissen, weil ich auf einer Reise zum privatem Vergnügen war, die sich sicherlich nicht in den Spesen abrechen ließ, und ich somit 200 € ohne zusätzlichen Mehrwert für ein privates Vergnügen aufwenden musste.
Zum Anderem war der Zug völlig überfüllt. Ich hatte zwar eine Sitzplatzreservierung, allerdings hätte ich mit einem Stehplatz im Gang nur unwesentlich weniger Platz gehabt. Bei der Sitzplatzreservierung hat die Deutsche Bahn eine Person neben mir gebucht, die eigentlich zwei Sitzplätze hätte buchen müssen. Die Mitarbeiter der DB sahen das hier aber anscheinend etwas anders
Ich setzte mich also von meinem Sitzplatz auf, musste dabei aber aufpassen nicht vom Koffer eines Verursachers des Defizits bei den Gesetzlichen Krankenkassen erschlagen zu werden. Dieser Koffer war so überdimensioniert, dass man den Eindruck haben könnte mein Sitznachbar wolle dauerhaft auswandern. Mein Koffer hat immer nur Handgepäckgröße. Es kommt nicht darauf an wie viel man mitnimmt, sondern wie man es einpackt.
Im Schneckentempo ging es aus dem Zug heraus und als ich über die Schwelle trat geriet ich aus der Traufe in den Regen. Der Zug war verlängert worden, die Glaskuppel beim Bau des Bahnhofes aus Zeitgründen aber etwas zu kurz geraten, was dazu führte das meine erste Berührung mit der Hauptstadt eine doch überaus kalte, unangenehme und vor allem nasse war. Die Einladung einer Bekanntschaft, die ich bei einer Konferenz in Usbekistan gemacht hatte, der Grund warum ich überhaupt in diese fremde Stadt kam, umfasste zwar einige Übernachtungen in einem Berliner Hotel, allerdings kein Flugticket, welches mich samt Taxiservice vor solchen Unannehmlichkeiten hätte bewahren können.
Ich bewegte mich mit schnellen Schritten, dem Regen zu entfliehen versuchend, über die Rolltreppe hinaus zum Taxistand und stieg in das vorderste Taxi der Reihe. Dem Taxifahrer gab ich einfach die Adresse des Hotels, die Andre mir bei unserem letzten Treffen aufgeschrieben hatte. Der Zettel sah mittlerweile etwas mitgenommen aus. Mein Gepäck musste ich selber einladen, was mir eigentlich auch ganz recht war. Ich versuchte für einen Moment die Augen zu schließen und für einen Moment das weiche Leder unter mir nach der langen und harten Fahrt zu genießen.
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Die schwarze Limousine brachte mich direkt zum First-Class-Terminal der Lufthansa am Frankfurter Flughafen. Es war ein Service meines Hotels, den ich gerne in Anspruch nahm.
Eine Mitarbeiterin der Lufthansa begrüßte mich schon, während sich ein anderer Mitarbeiter um meine beiden Koffer kümmerte.
Mir standen zwei Gepäckstücke pro Flug zu, warum also das nicht ausnutzen, wenn ich die Koffer nicht mal selber schleppen muss, dachte ich mir immer.
Die Lufthansa Mitarbeiterin sprach mich mit Vornamen an und ich sie auch. Ich gab ihr wie selbstverständlich meinen Reisepass. Nachdem ich die Sicherheitskontrolle hinter mich gebracht hatte verabschiedete ich mich in Richtung Snackbar. Ich hatte mich zwar noch etwa eine Stunde vorher zum Essen mit einer Freundin in Frankfurt getroffen, ein kleiner Snack und ein guter Rotwein können aber eigentlich nie schaden.
Ich nahm mir ein gut gefülltes Glas Rotwein sowie einen Teller voll Madeleines und begab mich in eine ruhige Ecke der Lounge, in die Smookingarea. Nach einem großem Schluck Rotweins und zwei Madeleines auf einmal steckte ich mir erstmal eine Zigarette an, Vorsorgungen treffen für den anstehenden Flug.
Die Lufthansamitarbeiterin brachte mir meinen Boardingpass und ich verdrückte mich noch schnell zur Toilette, ließ meinen Wein und die Madeleines unbeachtet zurück. Es gibt für mich nichts unangenehmeres als bei einem Kontinental-Flug auf die Flugzeugtoilette zu müssen. Die Madame wird ihren Spaß haben mich zu suchen, auf der Anzeigetafel wurde mein Flug schon zum Boarding aufgerufen.
Mir egal, müssen die Anderen halt auf mich warten.
Ich trocknete mir noch die Hände mit Papiertüchern ab und öffnete die Tür der Toilette, da kam mir schon die Madame Lufthansamitarbeiterin aufgeregt entgegen und bat mich, nachdem sie sich kurz sammelte, ihr zu folgen.
Wir gingen ein paar Treppen hinunter, verließen das Terminal und stiegen ein in einen schwarzen Mercedes, der mich zum Flugzeug bringen sollte.
Die Crew erwartete mich schon freundlich wie immer und ich verstaute meine Umhängetasche mit Laptop, iPod und Lektüre auf dem Sitzplatz neben mir. Kaum saß ich kam auch schon ein Stuart auf mich zu, fragte mich ob ich etwas lesen möchte. Während ich anfing den aktuellen Stern durchblättern und den einen oder anderen Artikel überflog begann das Flugzeug seinen Steigflug.
Obwohl der Flug von Frankfurt nach Berlin nur etwa 45 Minuten Flugzeit hatte bekam ich doch, ebenso wie die anderen Passagiere der Businessclass, ein vollständiges Abendbrot, ich bestellte mir dazu einen Rotwein. Eine Bekannte von mir meinte einmal, man könnte diese Kurzflügge in der Businessclass komplett mit Essen verbringen.
Nachdem ich mit meinen Abendbrot fertig war (Abendbrot um halb 4 ;) ) , widmete ich mich noch meinem iPod, ein Kollege von der WB hatte mir Musik aufgespielt, und begann einem ausführlichem Artikel im Stern zu lesen.
Die Landung in Berlin Tegel gestaltete sich etwas unsanft, dafür wartete die Limousine des Adlons, das ich schon vor meiner Verabredung in Frankfurt verständigt hatte am Rollfeld. Ich war erleichtert, dass ich nicht in diesen stickigen Bus musste. Meine Koffer werden mir später nachgeliefert worden sein, ich kannte das Prozedere schon.
Adriana, meine Fahrerin, klärte mich kurz über den Stand in der Hauptstadt auf, es war Wahlkampf um das Rote Rathaus. Den Rest der Fahrt genoss ich es einfach wieder in Berlin zu sein. Es hat zwar nicht die Sonne Südfrankreichs, aber dafür den ganze besonderen Berlin-Flair, den Flow, den nur Berlin hat.
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Allerdings bedurfte es gar keiner weiteren Ablenkung, weil die Fahrt bereits nach einigen tiefen Atemzügen ihr Ende gefunden hatte. Ich schreckte kurz auf als das Taxi stoppte, warf einen Blick auf das Taxameter, und gab dem Fahrer einen 10 € Schein.
Kaum hatte ich die Tür geöffnet stand ein großer, in einem langen schwarzen Mantel gekleideter Portier mit Regenschirm vor mir und fragte ob er mein Gepäck abnehmen könne. Ich werde bereits erwartet. Ich verneinte die Frage höflich, der Portier half mir aber trotzdem meinen Koffer aus dem Kofferraum des Taxi zu nehmen und ich folgte, meinen Koffer hinter mir herziehend, dem Portier hinein in die Eingangshalle des Hotels, vorbei an einem Schild mit einigen Sterne und einem für mich unbekannten Schrittzug.
Die sich vor mir ausbreitete Eingangshalle war beeindruckend. Stilvoll eingerichtet, ein ständiges Stimmengewirr, aber nicht laut, Klaviermusik im Hintergrund und inmitten von alle dem ein Springbrunnen von filigraner Handwerkskunst. Der Portier geleitete mich über die linke Seite hin zu einem Schalter, an dem ständiges Gewusel herrschte und niemand sich von Dauer aufzuhalten schien. Der Portier verschwand nach einem kleinen Gruß zur Hotelangestellten wieder hinaus zur Tür, sprach aber zuvor noch einige in Freizeitkleidung und Tennissocken gekleidete Personen am Eingang an, über die ich mich schon gewundert hatte, weil sie mit ihren Fotoapparaten irgendwie nicht wie Hotelgäste erschienen.
Die Hotelangestellte sprach mich auf Englisch an und hieß mich willkommen, ich antwortet auf Deutsch. Irgend wofür müssen sich die Deutschstunden ja gelohnt haben, ;) und ich hatte mich immerhin genug gequält. Die Anmeldung verlief schnell und reibungslos, die Hotelangestellte gab mir meine Schlüsselkarte. Die restlichen Formalien muss Andre wohl bereits erledig haben, und man erkundigte sich erneut ob man mir bei meinen Gepäck helfen könne. Ich verneinte die Frage erneut und man wünschte mir einen schönen Aufenthalt als sie bemerkte, dass Andre mit festem Schritt auf die Rezeption zu kam. Andre grüßte die Hotelangestellte noch im Gehen kurz mit Vornamen und streckte mir seine Hand entgegen was allzu bald in eine feste Umarmung überging.

Der silberne Audi stoppte vorm Adlon, ich stieg aus und verabschiedete mich von Adriana. Auf dem Weg zur Rezeption warf ich noch einen Blick auf den Brunnen in der Mitte der Eingangshalle, ein Kunstwerk welches mich jedes mal fasziniert.
An der Rezeption brauchte ich Sophia nur noch meine Kreditkarte zum Abgleich geben und bekam von ihr meine Schlüsselkarte, die von Medewe ließ ich aber an der Rezeption, ich wollte ihm den Gang dahin nicht ersparen.
Meine Suite war zum Glück schon bezugsfertig, das Roomkeeping war gerade fertig geworden. Für Medewe hatte ich nur ein Zimmer gebucht, ich wollte den Grünschnabel nicht größenwahnsinnig werden lassen.
Auf dem Weg zu meinem Zimmer begegnete ich einigen anderen Gästen des Hotels, einige kannte ich sogar noch von einem sehr langem Silvesterabend letztes Jahr. Wir hätten es beinah geschafft die Hotelbar zu überlasten. :)
Auf meinem Zimmer angekommen ließ ich mir erstmal ein Vollbad ein, schaltete den Fernseher an und als ich im Bademantel auf die Allee unter mir blickt, rief ich kurz beim Concierge an, bestellte mir eine Flasche von meinem Lieblingswein, und bat darum informiert zu werden sobald Alexander Medewe eintreffen sollte.
Nachdem ich mich wieder ordentlich angezogen hatte und auch die Flasche Rotwein gekommen war, legte ich mich aufs Bett, schaute RTL, trank Rotwein, zündete eine Zigarette an und blätterte durch den Stern, den ich noch aus dem Flugzeug hatte.
Es dauerte nicht einmal all zu lange, als das Telefon klingelte und ich mich auf den Weg nach unten begab.
Als ich unten ankam war Medewe gerade noch mit dem Einchecken beschäftigt. Ich lief trotzdem auf ihn zu, begrüßte Louisiana kurz und umarmte Medewe mit freudiger Erregung, wohl schon etwas angeschwippt vom Wein.
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Andre selber war kein Russe, er war Franzose, lebte aber in Washington D.C., wobei man nicht sagen kann, dass er dot wirklich lebte. Er verbringt in der Regel nie länger als drei Tage am Stück in Washington, dann geht es wieder auf Reise, in der Regel für etwa eine Woche, mit Zwischenstopps in europäischen Metropolen und einem Wochenende an der Cote d'Azur. Er war Abteilungsleiter für Zentralasien im WB HQ, was im Grund wöchentliche Meetings nötig machte.
Zwar lief Andre stark auf die 59 zu, was ihm aber nicht daran hinderte, eben dieses Pensum höchst regelmäßig zu fliegen: Washington, Bischkek, Paris, Cote d'Azur. Washington, Astana, Berlin, Cote d'Azur. Washington, Duschanbe …

Medewe war gerade einmal Mitte Zwanzig. Seinen Schulabschluss hatte er in St. Petersburg gemacht, studiert hatte er in Moskau, promoviert ebenda über einen Teilbereich der Auslandsverschuldung, alles mit Auszeichnung. Angefangen hatte er bei der WB direkt nach seiner Promotion und konnte aufgrund seiner guten Zeugnisse direkt zwei Gehaltsstufen höher einsteigen. Man hielt ihn dann aber doch noch für einen Grünschnabel und hatte ihn auf eine dreiwöchige Rundreise durch ganze Zentralasien und Osteuropa geschickt um als Gasthörer auf verschiedenen Meetings erfahrner WB Leute dabei zu sein.
Auf einem dieser Meetings hatte er Andre kennen gelernt, sein Beobachtungsobjekt für dieses Meeting.
Andre hatte sich über Medewes Werdegang gewundert und hatte ihn gefragt wie ein junger Menschen das leisten könne, das ganze Leben auf der Überholspur und dabei doch nichts zu erleben und nichts zu genießen.
Das Treffen mit Andre war gleichzeitig die letzet Station auf Medewes Reise. Andre gab Medewe die Adresse des Berliner Hotels, in das er sich einquartieren sollte. Medewe musste laut seines Flugplanes eine Nacht in Berlin bleiben um seinen Anschlussflug über Frankfurt nach D.C. zu bekommen. Medewe hatte sich eigentlich vorgenommen ein Hotel am Flughafen zu nehmen. Als Andre ihn aber anrief und es schaffte Medewe zu überzeugen seinen restlichen Urlaub dafür zu nutzen ein paar Tage mit ihm in Berlin zu verbringen und Andre auch noch ankündigte für das Hotel aufzukommen, änderte Medewe seine Pläne, er wollte sich ja nicht mit seinem Vorgesetzten schlecht stellen.
Sein Flug wurde dann nach München verlegt und einen weiteren Flug nach Berlin wollte er nicht mehr buchen, weil er sich nicht mehr auf offizieller Reise befand. Er entschloss allerdings letztlich mit der Bahn nach Berlin zu fahren, um seine Zusage Andre gegenüber nicht zu brechen und um seine Pläne nicht schon wieder ändern zu müssen.
Andre hatte angekündigt Medewe zu zeigen, was es heißt zu leben. Er wollte ihm das Berliner Nachtleben etwas näher bringen. „Woanders gibt’s ´ne Speerstunde, in Berlin die Müllabfuhr“ hatte Andre einmal gesagt. Medewe fand das unpassend, er war keine Anfang 20 mehr und Andre erst recht nicht. Vielleicht hat Andre das aber auch irgendwie anderes gemeint.
Medewes Nachtleben hatte sich bis jetzt immer auf Überstunden, gelegentlich einem Kinobesuch mit Freunden und noch einmal Überstunden erstreckt. Er war damit nicht unglücklich, seine Arbeit machte ihm Spaß, er hatte machmal von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens am Computer gesessen und seine Promotion geschrieben.
Andre löste die Umarmung und die beiden bewegten sich zu den Aufzügen. Andres Stimmung war heute deutlich gelöster, als bei ihrem letztem Treffen. Die Fahrstuhltür öffnete sich und Andre nahm Medewe kurzerhand seine Schlüsselkarte ab, nur um sie vor ein Panel des Aufzuges zu halten, worauf sich der Aufzug in Bewegung setzte und Andre Medewe die Schlüsselkarte zurückgab.
Die Fahrt nach oben verbrachten die beiden schweigend und auch auf dem Weg zu Andres Zimmer hatten die beiden sich außer einigen freundlichen Grüßen an zufällig vorbei kommende Hotelgäste nicht viel zu sagen. Medewe wollte sich seine Worte für später aufbewahren.
Vor dem Zimmer von Andre verharrten die beiden und Andre empfahl Medewe erst mal auf sei Zimmer zu gehen, es sei auf dem selben Stock, die Nummer stehe aus seiner Schlüsselkarte und nach einem Blick auf selbige sagte er Medewe, er werde ihn später auf seinem Zimmer anrufen und ihn dann erst mal sanft und seicht in das Berliner Nachtleben einführen, er solle ja nicht gleich einen Schock erhalten; Medewe fühlte sich in seiner Ehre als Russe gekränkt, sprach es aber nicht aus.
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Das Haus war größer als ich es vermutet hätte. Auch wenn Andre gesagt hatte, dass mein Zimmer auf dem selben Stockwerk sei, musste ich doch den Fahrstuhl nehmen um in einen anderen Teil des Hotels zu gelangen. Im Fahrstuhl machte ich die freundlich Bekanntschaft eines Küchenjungen, der mich dafür aber bis in den Keller beförderte. Ich also mit dem Fahrstuhl wieder hoch. Mehrere Minuten lief ich über den angenehm weichen Boden, welcher aber nicht darüber hinweg täuschte, dass sich meine neuen Schuhe mittlerweile als Fehlkauf erwiesen, weil sie mir meine Hacken aufrieben, um nachdem ich mich mehrmals verlaufen hatte bei seinem Zimmer am Ende eines langen Ganges mit mehreren uneinsichtigen Wendungen nun doch endlich ankam. Das Türschloss öffnete sich ohne Tadel, dafür war die Tür an sich umso schwerer und ich musste mich mit meinem Körper gegen die Tür stemmen, um sie zu öffnen. Die Tür fiel hinter mir zu und ich stellte erst einmal meinen Koffer ab, um durch die Doppeltür in das Schlafzimmer zu schreiten, öffnete sogleich die schweren, bodenlagen Vorhänge, um noch etwas Tageslicht dieses Sommertages in mein Zimmer fallen zu lassen.
Ich wandte mich wieder meinen Koffer zu, legte ihn auf das Bett, öffnete ihn und fing damit an den Inhalt meines Koffers in den Schränken auf dem Flur zu verstauen, denn auch wenn Andre gesagt hatte, das ganze hier würde nur ein paar Tage dauern, war ich es doch gewöhnt meinen Koffer auszupacken. Ich reise immer mit so wenig Gepäck, dass das ganze Prozedere nie länger als 5 Minuten dauert und es sich am Morgen doch immer als deutlich angenehmer erwiesen hat, wenn man im Koffer nicht nach frischen Klamotten fischen muss.
Im Übrigen bin ich auch noch nie in die Bredouille gekommen, das mir die frische Kleidung ausgegangen wäre.
Nach viereinhalb Minuten und nachdem ich erstmal ausprobiert hatte wie der Fernseher angebt, beschloss ich mich im Badezimmer etwas frisch zu machen. Die Toilette war separiert und nach einer Dusche im Regenwald stapfte ich im Bademantel zum großen Fenster um zu schauen ob sich der lange Marsch zu meinem Zimmer durch die Aussicht bezahlt machte.
Mein Zimmer war an der Ecke einer Seitenstraße zu der Prachtstraße auf der ich wohl vorhin mit dem Taxi gefahren bin. Ich musste mich etwas schräg stellen, erkannte vor mir aber das Brandenburger Tor, soviel wusste ich von Berlin, und ein Gebäude mit der französischen Flagge, anscheinend die Botschaft.
Medewe schritt den Gang hinunter, in die Richtung seines Zimmer, mal sehen ob er sein Zimmer findet, oder ob irgendwer ihn aufgabelt und dann zu seinem Zimmer bringt.
Ich öffnete meine Tür, meine Koffer waren mittlerweile auf mein Zimmer gebracht worden. Ich legte mich wieder auf mein Bett, schenkte mir Rotwein nach, zündete mir eine Zigarette an und holte meine Lektüre aus meiner Umhängetasche, ein klassisches Werk über eine Kaufmannsfamilie aus Lübeck.
Medewe sollte ruhig eine Stunde Zeit haben um sein Zimmer zu erkunden, die Reservierung im Borchardt hatte sowieso noch Zeit. Ich wollte Wort halten, Medewes Einstieg sollte wirklich sanft sein, ich habe meine eigene Definition von Nachtleben.
Ich hatte noch nicht einmal ein halbe Stunde gelesen, gerade genug um wieder in den Flow zu kommen, da klingelte das Telefon. Ich nahm sofort ab, Medewe war am anderem Ende:
„Ja, ja so in etwa.“, antwortete Medewe, „ Andre sag mal, wohin willst du mich eigentlich nachher entführen.“
„Turnschuh oder Smooking?“ fragte Medewe direkt.
Damit legte ich auf. Wie neugierig die Jungen von heute sind, aber eigentlich hat er ja recht.
Kaum weitere 20 Minuten später, ich hatte mir gerade vorgenommen, dass ich noch etwas weiter lesen wolle, rief Medewe wieder an, er werde unten in der Lobby auf mich warten. Das war mir nur recht, soll er nur etwas unten in der Lobby warten.
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Ich riss mich von dem Ausblick los, schritt an mein Bett, hob den Telefonhörer ab und wählte die Direktwahl für das Zimmer von Andre. Andre hobt den Hörer sofort ab, er lag wohl gerade auf dem Bett,:
„ Kannst du es gar nicht mehr abwarten“, sagte Andre.
„Das soll doch eine Überraschung sein“, erwiderte Andre.
„Jackett, aber ohne Anzug und auf gar keinen Fall Turnschuh, die sind die nächsten Tage ab 19 Uhr tabu, den Tag über kannst du die gerne tragen. Zieh aber bitte nicht dein Anzugjackett an, es ist einfach fürchterlich geschnitten, du siehst darin aus als währst du Anfang 60 und hättest dir die Haare gefärbt.“
Damit legte Andre auf.
Ich fühlte sich etwas brüskiert, machte mir aber nicht daraus. Schon in meiner ersten Woche bei der WB bin ich vor solch einer Art von Humor gewarnt worden.
Ich legte mir also meine Sachen zurecht, behielt den Bademantel aber noch einen Moment an, klappte meinen Laptop auf um meine E-Mails abzurufen und um auf dem Laufenden mit dem Geschehen im HQ zu bleiben.
Nach der Durchsicht der angelaufenen E-Mails, die ich alle pflichtgemäß beantwortete, insofern dieses erforderlich war, las ich noch eine Hand voll Artikel auf SPON, um mich kurz in das Zeitgeschehen meines gegenwärtigen Aufenthaltsortes einzufinden, schloss meinen Computer und zog meine zuvor vorbereiteten Sachen an.
Da mir auf dem Zimmer irgendwie langweilig war, weil ich mein Buch schon auf der elendig langen Zugreise ausgelesen hatte und von fernsehen, außer als Einschlafhilfe, nicht sonderlich viel hielt, rief ich kurz bei Andre an um ihm mitzuteilen, dass ich mich unten in die Lobby setzen würde um einen Kaffee zu trinken.

7 comments:

  1. diese Geschichte spricht mir aus der Seele, ich komme selbst gerade von einer Konferenz, amüsant zu lesen

    Gruß,
    Bernd Galand, Geschäftsmann, Straubing

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  2. Ein Kollege und Freund aus Japan hat mich letzte Woche in Monaco im Rahmen eines kleinen spontanes Yachttrips auf diesen Geheimtipp hier hingewiesen. Wirkich köstlich zu lesen! Ich kann mich Herrn Galand nur anschließen. Es spricht einem aus der Seele. Absolut! Mehr davon! Mehr! Auf kleine Liebeleien des Protagonisten mit dem anderen Geschlecht bin ich so was von gespannt!

    Greetz from Arabia
    Nasir Jones

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  3. Ich habe schon länger keinen Text mehr gelesen, der den Geist des Reisens in so treffender Weise einfängt und mit Humor verarbeitet. Ich kenne den Trott aus eigener Erfahrung (das monatliche Flug-Programm Paris–Bissau–Neukaledonien-Düsseldorf–Herzogenaurach zieht so einige Anstrengungen nach sich, kann ich ihnen versichern). Ich freue mich außerordentlich auf neue Kapitel, mein Guter!

    Mit freundlichen Grüßen,
    Zacharias de Édell-Füllaire


    p.s.: Habe ich die Zeichen richtig herausgelesen? Interessiert sich der Protagonist für Sophia von der Rezeption im Verlaufe des Romans?


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  4. Als ich mich übers Adlon schlau machen wollte, bin ich auf diesen Blog gestoßen. Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Ein ausgezeichnetes ersten Kapitel, welchen Lust auf mehr macht! Doch was in mir ein großes Fragezeichen hinterlässt, ist, wer dieser geniale Blogger ist, der hinter allem steckt. Die Rede ist von dem geheimnisvollen "mm". Etwa ein erfolgreicher Popliterat, der hier ein paar literarische Experimente der etwas anderen Art wagt und den Blog dabei bewusst nur einem exklusiven Publikum lässt? Oder handelt es sich bei dem Protagonisten um den Autor selbst und die Geschichten spiegeln sein Leben als erfolgreicher "Weltbänker" wieder? Wie ich sehe hat sich der Blogger bis jetzt noch nicht wirklich zu seiner Person geäußert. Ich bin gespannt wie das Projekt oder was auch immer dies sein mag weitergeht!
    Ach und nochwas: Mir gefällt ihr Schreibstil sehr. der ist so à laBenjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht. Ich freue mich schon auf den Tag an dem der Roman fertig ist und ich erhobenen Hauptes sagen kann: Dies ist das bessere Faserland.

    Gruß von gj (um im spirit dieses Blogs zu bleiben)

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  5. Ich weiß nicht, wie ich hier landen konnte und weiß ebenfalls nicht, was die anderen Kommentatoren hier geraucht haben, aber ich halte nicht wirklich viel von dem vorliegenden ersten Kapitel. Was man dem Blogger zu Gute halten muss, ist, dass er (wahrscheinlich durch seine eigene Berufserfahrung) ein sehr authentisches Bild vom Leben als Kosmopoliten schafft. Dennoch stören mich schon die großen formalen Mängel. Ich weiß nicht, ob dem Autor Begriffe wie Orthografie und Interpunktion geläufig sind, jedoch beachtet er die Einhaltung derselben nur bedingt. Desweiteren ist der Anfang des Romans (falls man das so nennen kann) einfach nur langweilig. Ich musste mich echt überwinden, zu Ende zu lesen. Der Ich-Erzähler macht immer das gleiche. Wenn er sich nicht gerade eine Zigarette ansteckt, sich mit irgendwelchen teuern Weinen vergnügt oder RTL (???) schaut, hat er nichts besseres zu tun, als sich mit völligen Banalitäten aufzuhalten oder blödsinnigen Beschäftigungen nachzugehen. Ich möchte keinen Missmut bei dem Blogger erzeugen und würde mich natürlich auch freuen, wenn er weiterschreibt. Aber ich musste hier kurz meine Kritik loswerden.

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  6. Sehr geehrter MM,

    inzwischen ist Ihr Blog zu einem echten Geheimtipp in unserem Konzern geworden! Meine gesamte Abteilung schwärmt für ihre prosaische Handwerkskunst und wartet gebannt auf die Fortsetzung dieses Launemachers. In der Führungsetage unseres Unternehmens können wir Ihre Ausführungen nur zu gut nachvollziehen, reflektieren sie doch unser täglich Brot.
    Allerdings ist es verwunderlich, dass Ihr Protagonist sich tatsächlich dazu niederlässt ein Glas Rotwein im Flugzeug zu bestellen, ist es doch durchaus bekannt, dass die Geschmacksknospen in derartiger Höhe den gesamtem Geschmacksumfang eines Weines NIEMALS ganz erfahren können (in diesem Zusammenhang verweise ich auf das Magazin "Vinos"). Hinzu kommt noch, dass Flugbegleiter bekanntlich keine Ahnung von Dekantierzeit haben.

    MfG

    Jörg von Karsting

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  7. groß, ganz groß!

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